Wärmeplanung aus der Hölle. Wie die Stadtwerke Chemnitz und Erfurt sich Wasserstoff in kommunalen Wärmenetzen schönrechnen
Die kommunalen Wärmepläne (KWP) von Chemnitz und Erfurt sind noch nicht beschlossen. Zum Glück, denn aus Bürger:innensicht sind es Planungen aus der Hölle. Warum? Sie identifizieren überraschenderweise Wasserstoff (H2) als wesentliche Säule zur Erreichung der Klimaneutralität. Die Stadtwerke, die in beiden Fällen die Planungen anstellen, begründen ihre Wirtschaftlichkeitsberechnung dabei sehr unterschiedlich. Eine detaillierte Vollkostenrechnung über 20 und 25 Jahre zeigt, dass die unterstellten Kostenvermeidungsstrategien in beiden Fällen wirtschaftlich nicht haltbar sind und für Bürger:innen enorme Heizkosten entstünden. Erhebliche Sicherheitsrisiken und erforderliche Gegenmaßnahmen sind nicht kalkuliert, auch Versorgungssicherheit wird schlicht vorausgesetzt obwohl kein Markt existiert. Gut, dass Politik das noch verhindern kann.
1. Vergleich der H2-Strategien
1.1 Chemnitz: Vermeiden von Sanierungskosten
Die Chemnitzer KWP rechtfertigt den H2-Pfad primär durch die Vermeidung hoher Gebäudesanierungskosten:
Zentrale These
Wasserstoff könne perspektivisch wettbewerbsfähig gegenüber dezentralen Wärmepumpenlösungen sein.
Begründung
Vermeiden von Sanierungskosten bis zu 200.000 Euro pro Einfamilienhaus, die für einen effizienten Wärmepumpenbetrieb in unsanierten Altbauten erforderlich sein können.
Zielszenario 2040
18 % des Gesamtwärmebedarfs durch grünen Wasserstoff aus dem transformierten Gasnetz.
1.2 Erfurt: Vermeidung von Stromnetzausbau
Die Erfurter KWP ist noch nicht fertig. Aktuell betrachten die Planer drei Zielszenarien, darunter das "Wasserstoffbasierte Szenario", was sie befürworten.
Zentrale These
Großflächige strombasierte Versorgung sei in dörflichen Gebieten "aufgrund massiver Netzengpässe kaum realisierbar" und die Transformation von Erdgas zu Wasserstoff "bedeutend wirtschaftlicher" als der Stromnetz-Ausbau.
Begründung
Investitionsvolumen für Stromnetzausbau betrüge ca. 400 Mio. € vs. Nur rund 10 Mio. € für Gasnetz-Umstellung.
Strategie
H2-Versorgung für Industrie, Gewerbe und dörfliche Gebiete mit hoher Gasanschlussdichte zur Entlastung des Stromnetzes.
1. Vollkostenrechnung: Einfamilienhaus (15.000 kWh/a)
Die Betrachtung für die Aufgabe das Fernwärmenetz zu dekarbonisieren lasse ich außen vor. Es geht um Feuerstätten in Chemniz und Erfurt: in Haushalten. Schaut man sich die Berechnung für ein Einfamilienhaus einmal an, sehen die Zahlen nämlich ziemlich eindeutig aus.
2.1 Basisannahmen
Energiepreise und Effizienz:
  • WP-Strompreis: 24,2 ct/kWh (bei JAZ 3,5), aktueller Strompreis
  • H2-Preis: 19,85 ct/kWh (Annahme extrem großzügiger Wirkungsgrad 1, 10 Cent mehr als aktueller Gaspreis)
  • = Wärmepumpen-Betriebskosten (OpEx): 1.041,43 €/Jahr
  • = H2-Betriebskosten (OpEx): 2.977,50 €/Jahr
Den niedrigen Betriebskosten einer Wärmepumpe stehen jedoch höhere Investitionskosten gegenüber, die man wie folgt berechnen kann:
Investitionskosten:
  • Luft-Wasser-WP Brutto-Investition: 29.000–38.000 €*
  • Abzüglich WP-Förderung (BEG): 10.150–21.000 €
  • WP Netto-Investition: 8.000–27.500 €
  • H2 Geräteumstellung: 6.000 € zzgl. Netzumstellungskosten
*Die Umrüstung eines Einfamilienhauses auf eine Luft-Luft-Wärmepumpe wäre auch möglich und mit 12-15.000 € deutlich günstiger. Diese Option wurde hier jedoch nicht betrachtet.
2.2 Horizont auf 20-Jahre gerechnet
2.2 20-Jahres-Betrachtung
Ergebnis:
Im günstigsten Fall (maximale Förderung von 70 % bei 29.000 € Investition) spart die Wärmepumpe über 36.000 Euro über 20 Jahre.
Selbst im ungünstigsten Fall (minimale Förderung, hohe Investition) ist die Wärmepumpe 17.000 Euro günstiger als Wasserstoff.
Die jährlichen Mehrkosten von H2 (im Durchschnitt fast 2.000 €/Jahr) übersteigen die eingesparten Investitionskosten bereits nach 1,4–11,1 Jahren, abhängig vom WP-Szenario.
Break-even-Analyse:
  • WP (Max. Förderung): Break-even nach 1,4 Jahren
  • WP (Min. Förderung): Break-even nach 11,1 Jahren
Nach 25 Jahren öffnet sich die Kostenschere weiter zuungunsten von Wasserstoff.
Nach 25 Jahren liegt die Wärmepumpe im Vergleich zum Heizen mit Wasserstoff zwischen knapp 27.000 Euro und 45.000 Euro vorn
3. Bewertung der Argumentationen
3.1 Chemnitz: Konflikt mit realistischen Sanierungskosten
Wie haben die Stadtwerke Chemnitz argumentiert? Mit höchsten Sanierungskosten, die an die Heizhammer-Kampagne erinnern. Bis zu 200.000 € Sanierungskosten seinen je Haus erforderlich und würden Wärmepumpen wirtschaftlich unattraktiv machen. Eine Horror-Argumentation, die mit der Realität nichts zu tun hat.
Eine Minimaloptimierung eines jeden Hauses beläuft sich auf bis zu 5.000 Euro (Kellerdecke und oberste Geschossdecke Dämmen, Abdichten) und ist insbesondere für das Heizen mit Gas oder H2 wichtig. Sie ist in jedem System wirtschaftlicher als der Verzicht darauf und kann darum außen vor bleiben.
Flächenheizungen: Fußbodenheizungen kosten in der Nachrüstung für 80 m² weniger als 4000 Euro. Dies ist bei einem Umzug eine gute Lösung. Im Bestand üblich ist der günstigere und viel weniger aufwändige Tausch auf Niedertemperaturheizkörper, der den gleichen Effekt hat.
Die Reduktion des Energiebedarfs und der Vorlauftemperatur durch diese Maßnahmen ist dauerhaft (nicht nur auf 20 Jahre) vorteilhaft.

Fazit: Die Chemnitzer H2-Strategie bricht zusammen, wenn realistische Gebäudeoptimierungskosten zugrunde gelegt werden. Die H2-Strategie blendet die Mehrkosten durch den Brennstoff und die somit nötigen Sanierungsbedarfe aus. Auch nicht berechnet haben die Stadtwerke, wie sie die erheblich höhere Explosionsgefahr durch H2 wegsanieren wollen. Es müssten Sicherheitskonzepte angepasst werden. Dies beträfe Detektionssysteme, Lüftungsmaßnahmen und Brandschutzkonzepte, da Wasserstoff andere physikalische Eigenschaften als Erdgas aufweise. Eine Studie aus England beziffert die Verletzungsgefahr durch Explosionen als 4x so hoch.
3.2 Erfurt: Ignoranz gegenüber Gesamtsystemkosten
Kernargument der Stadtwerke: 400 Mio. € Stromnetzausbau vs. 10 Mio. € Gasnetz-Umstellung rechtfertigen einen H2-Pfad.
Argument 1: Stromnetzausbau ist unvermeidbar
Die Sektorkopplung führt bis 2045 zur Verdopplung der Stromnachfrage durch:
  • PV-Ausbau auf 420 GW (dezentrale Einspeisung)
  • 6-8 Mio. batterieelektrische Fahrzeuge bis 2030
  • Industrielle Elektrifizierung
Selbst bei hohem Fernwärmeanteil (60–80 % mit Großwärmepumpen) ist ein sehr starker Netzausbau integraler Bestandteil der Energietransformation – unabhängig vom H2-Pfad.
Argument 2: Betriebskosten übersteigen Infrastrukturkosten
Bei aktuell 27.000 Gaskunden in Erfurt und einer Preissteigerung von 10 ct/kWh mit H2 entstünden beim aktuellen Energiebedarf der Stadt (2,259 Gigawattstunden) jährliche Mehrkosten von:
  • Mehr als 8.300 € pro Haushalt/Jahr
  • Mehrkosten von 224 Mio. €/Jahr hochgerechnet auf alle Kunden
Diese jährlichen Mehrkosten übersteigen die einmaligen 400 Mio. € für das Stromnetz innerhalb von 1,8 Jahren.

Fazit: Die Stadtwerke Erfurt verschieben Kosten von der öffentlichen Hand (sichtbar, einmalig) auf die Bürger (unsichtbar, dauerhaft). Die H2-Strategie ist langfristig teurer als jede Wärmepumpen-Alternative.
Die Stromnetze müssen in beiden Städten ausgebaut werden – unabhängig von der Heizstrategie. In Chemnitz ist der nötige Stromnetzausbau um den Faktor 2,5 geplant und nicht Teil der Wärmeplanung (Quelle INETZ).
4. Technische Realitäten: Wasserstoff im Gebäudebestand
Was erstmal nett klingt – einfach weiter mit Gas heizen – ist in der Praxis nicht besonders einfach.
4.1 Umstellung und Sicherheit
Zuerst müssen mehrfache Hausbesuche organisiert werden, zur Erfassung aller Gasgeräte, Austausch/Anpassung von Heizungen und Kesseln. Kein Düsenwechsel: Viele Altgeräte sind für reinen Wasserstoff ungeeignet und müssen vollständig ersetzt werden.
Straßenzugweise Umstellung
Erst wenn alle Häuser in einem Netzabschnitt angepasst sind, erfolgt die Gasumstellung.
Druckprüfung
Das gesamte Netzsegment wird unter Betriebsdruck auf Dichtheit geprüft – Fehlertoleranz: null.
Sicherheit
zusätzliche Sicherheitsmechanismen müssen etabliert werden, da H2 bei Leckagen deutlich einfacher und schneller explodiert als Erdgas und auch schneller leckt als Erdgas.
Als Sicherheitsmaßnahmen empfohlen sind nicht verschließbare Belüftungsschlitze oder kontrollierte Wohnraumlüftung. Das bedeutet entweder erhebliche Wärmeverluste oder große Investitionen, die in der Planung beider Stadtwerke nicht kalkuliert sind.
4.2 Energetische Effizienz
Brennwert
H2 hat nur 33 % des Brennwerts von Erdgas → für gleiche Heizleistung wird das dreifache Volumen an Gas benötigt. Ggf. müssen zusätzliche Rohre verlegt werden.
Produktionskosten
Grüner Wasserstoff kostet in der Erzeugung 10–20 ct/kWh (Fraunhofer ISE), in den ersten Jahren vermutlich am oberen Ende der Spanne. Transport, Speicherung, Vertrieb und Netzkosten kommen für die Endkunden noch hinzu. Ein Markt für H2 existiert aktuell nicht, auch begründen beide Stadtwerke nicht, aus welchen Quellen zu welchen kWh-Gestehungskosten sie den grünen Wasserstoff überhaupt einkaufen wollen.
1. Fazit
Beide H2-Strategien basieren auf Kostenverschiebung, nicht Kostenvermeidung
Chemnitz
Konstruktion eines Horrorszenarios anstelle von realistischen Sanierungshilfen für die schlechtesten Gebäude.
Erfurt
Vermeiden sichtbarer öffentlicher Infrastrukturinvestitionen durch Verlagerung auf unsichtbare, dauerhafte Heizkosten der Bürger:innen.
Wärmepumpen sind wirtschaftlich überlegen
  • Über 20 Jahre: 17.000–36.000 € Kostenvorteil gegenüber H2
  • Über 25 Jahre: 27.000–46.000 € Kostenvorteil gegenüber H2
Eine effiziente Nutzung erneuerbaren Stroms ist nur mit der Wärmepumpe möglich (3,5 mal soviel Wärme als mit einer Direktstromheizung), demgegenüber entstehen bei Nutzung von grünem Wasserstoff aus einer kWh grünem Strom maximal 0,6 kWh Wärme.
5.3 Stromnetzausbau ist in jedem Szenario unvermeidbar
Die Transformation von Wärme, Verkehr und Industrie erfordert einen planvollen Ausbau der Stromnetze – unabhängig von kommunalen H2-Strategien. Die vermeintliche Kosteneinsparung durch H2 ist eine Illusion.
H2 hat seine Berechtigung als Spitzenlasttreibstoff in Kraftwerken. Nicht in Einzelfeuerstätten.
1. Empfehlungen
1
Ehrliche Kommunikation
Beide Stadtwerke sollten realistische Sanierungskosten und Gesamtsystemkosten mit H2-Quellen und Vollkosten transparent darstellen.
2
Ratspolitik gefragt
Wärmepläne werden der Ratspolitik zur Abstimmung vorgelegt. Diese ist am Ende verantwortlich für die beschlossene Planung, die in diesen Fällen wirtschaftliche Nachteile für alle Bürger:innen in dreistelliger Millionenhöhe jährlich (!) bedeuten würden.
3
Wärmepumpen günstiger
Dezentral oder zentral in Wärmenetzen sind Wärmepumpen die effizienteste, wirtschaftlichste und ökologisch überlegene Lösung. Darum ist aktuell auch bereits jede zweite neu eingebaute Heizung eine Wärmepumpe.
4
Moderate Gebäudeoptimierung
Statt 200.000-Euro-Vollsanierung genügen oft günstige (gering investive) Maßnahmen wie Heizkörpertausch, Dämmen von oberster Geschoss- und Kellerdecke, ggf. Einblasdämmung, die für weniger als 5.000 Euro zu haben sind. Diese sind im H2-Szenario und auch bei den jetzt bereits hohen Heizkosten ohnehin geboten und dringender, sodass sie bei der Vollkostenrechnung außen vor bleiben dürfen.
5
Stromnetzausbau priorisieren
Die Stromnetzausbauplanung und Gasnetz-Ausstiegsplanung sind eine notwendige Investition in die Energiezukunft, keine vermeidbare Belastung. Jeder Aufsichtsrat sollte aus Perspektive der Bürger:innen diese Planungen verlangen.
Quellen:
  • Erfurt Szenarienbetrachtung (2024/2025) Kommunale Wärmeplanung | Erfurt.de
  • Fraunhofer ISE: Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem – Bundesländer im Transformationsprozess (2024)
  • Agora Verkehrswende, Agora Energiewende und Frontier Economics (2018): Die zukünftigen Kosten strombasierter synthetischer Brennstoffe (S. 11)
  • BEG-Förderrichtlinien (Stand 2024)
  • Hy4Heat Safety Assessment Conclusions Report incorporating Quantitative Risk Assessment Comparative Safety Assessment Report (inc. QRA) (Section 9.1.2, natural gas, 9 explosions per year and 16 injuries. Section 9.2.2, hydrogen, 39 explosions and 65 injuries). Zusammenfassung Hydrogen heating, village trials and explosion risk
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